Haben Sie sich jemals gefragt, was mit Menschen geschieht, die aufgrund einer psychischen Erkrankung straffällig werden? Wo endet die Strafe – und wo beginnt die Therapie? Diese Fragen stellen sich Schöffinnen und Schöffen bei ihrer verantwortungsvollen Arbeit immer wieder. Denn wer in der Strafgerichtsbarkeit ehrenamtlich mitwirkt, sollte auch wissen, welche Konsequenzen die eigenen Urteile haben. Genau aus diesem Grund öffnete die Maßregelvollzugsanstalt in Mühlhausen-Pfafferode ihre Türen für Mitglieder der Vereinigung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter Sachsen-Anhalt/Thüringen (VER-SAT).

Was die Besucherinnen und Besucher am 25. September 2025 erlebten, war weit mehr als ein klassischer Rundgang. Es war eine Begegnung mit einer Realität, die den meisten Menschen verborgen bleibt – und die doch einen zentralen Baustein unseres Rechtssystems darstellt.

Zwei Welten, ein Ziel: Heilung statt Vergeltung

Der Maßregelvollzug unterscheidet sich grundlegend vom klassischen Strafvollzug. Während Gefängnisse der Bestrafung und Sühne dienen, verfolgt der Maßregelvollzug ein anderes Ziel: die Behandlung und Resozialisierung von Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder Suchtproblematik straffällig geworden sind. Seit dem 1. Januar 2023 liegt die Trägerschaft der Forensischen Klinik Mühlhausen beim Freistaat Thüringen – ein Schritt zurück zur staatlichen Verantwortung nach über zwei Jahrzehnten der Privatisierung.

In der Einrichtung werden Menschen untergebracht, die in nicht behandeltem Zustand eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstellen würden. Die rechtliche Grundlage bilden die §§ 63 und 64 des Strafgesetzbuches. Doch was bedeutet das konkret?

  • § 63 StGB regelt die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Hier landen Menschen, die im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit eine Straftat begangen haben – etwa aufgrund einer Schizophrenie, schweren Depression oder Persönlichkeitsstörung. Die Unterbringungsdauer ist nicht befristet. Sie richtet sich ausschließlich nach dem Therapiefortschritt und der Einschätzung, ob von der Person weiterhin eine Gefahr ausgeht.
  • § 64 StGB hingegen betrifft suchtkranke Straftäter, deren Taten im Zusammenhang mit Alkohol- oder Drogenmissbrauch stehen. Diese Unterbringung ist auf maximal zwei Jahre begrenzt – allerdings nur, wenn eine realistische Heilungschance besteht.

Der entscheidende Unterschied zum Strafvollzug? Im Maßregelvollzug stehen Therapie, Behandlung und Gefahrenabwehr im Mittelpunkt – nicht Sühne, nicht Vergeltung. Es geht darum, die Ursachen der Gefährlichkeit zu behandeln, nicht die Tat zu bestrafen. Ein Paradigmenwechsel, der in der Praxis Leben retten kann – das der Täter und das potenzieller Opfer.

Führung durch eine verborgene Welt

Die Besuchergruppe wurde in zwei Teams aufgeteilt, um den komplexen Anforderungen der großen Anlage gerecht zu werden. Geführt wurden die Gruppen von Frau Dr. Alexandra Glaser, stellvertretende Chefärztin der Forensischen Klinik Mühlhausen, und Herrn Weidemann, Pflegedienstleitung. Beide nahmen sich ausgiebig Zeit, um die Fragen der Schöffinnen und Schöffen zu beantworten – und davon gab es viele.

Die Führung umfasste die Wohnbereiche, in denen die Patienten untergebracht sind. Hier wird schnell deutlich: Dies ist kein Gefängnis im klassischen Sinne. Die Zimmer sind funktional, aber auf Therapie ausgerichtet. Die Patienten leben in einer strukturierten Umgebung, die einerseits Sicherheit gewährleistet, andererseits aber auch Raum für persönliche Entwicklung lässt.

Weiter ging es durch die Werkstätten, in denen die Untergebrachten einer geregelten Tätigkeit nachgehen können. Arbeitstherapie ist ein zentraler Bestandteil der Behandlung – sie gibt den Patienten einen Tagesrhythmus, fördert soziale Kompetenzen und bereitet auf ein Leben außerhalb der Mauern vor. In der Sportanlage können die Patienten körperlich aktiv werden – ein wichtiger Ausgleich in einem oft von innerer Unruhe und Anspannung geprägten Alltag.

Besonders eindrücklich war der Besuch der Panikräume – speziell gesicherte Bereiche, die bei akuten Krisensituationen zum Einsatz kommen. Sie erinnern daran, dass die Forensische Psychiatrie nicht nur Therapie ist, sondern auch mit unvorhersehbaren und gefährlichen Momenten konfrontiert wird.

Offene Fragen, ehrliche Antworten

Was die Schöffinnen und Schöffen besonders beeindruckte: die Offenheit und Geduld der Referenten. Frau Dr. Glaser und Herr Weidemann beantworteten jede Frage mit Sachverstand und Empathie – sei es zur Dauer der Behandlung, zu Rückfallquoten, zur Entlassvorbereitung oder zur Zusammenarbeit mit Gerichten. Diese Transparenz schafft Vertrauen und zeigt, dass der Maßregelvollzug nichts zu verbergen hat. Im Gegenteil: Er will verstanden werden.

Denn die Arbeit der Forensischen Psychiatrie steht oft in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite der Schutz der Gesellschaft, auf der anderen Seite die Menschenwürde und das Recht auf Behandlung – auch für Menschen, die Schweres getan haben. Dieser Balance gerecht zu werden, ist eine tägliche Herausforderung, die höchste Professionalität erfordert.

Warum Schöffinnen und Schöffen diesen Einblick brauchen

Schöffinnen und Schöffen urteilen über Menschen. Sie entscheiden mit, ob jemand ins Gefängnis geht, ob eine Bewährungsstrafe angemessen ist – oder ob eine Unterbringung im Maßregelvollzug notwendig wird. Doch wer urteilt, sollte auch wissen, was mit den Verurteilten geschieht. Nur wer die Strukturen, Abläufe und Ziele des Maßregelvollzugs kennt, kann verantwortungsvoll entscheiden.

Die VER-SAT verfolgt genau dieses Ziel: ehrenamtliche Richterinnen und Richter zu unterstützen, zu informieren und in ihrer Handlungskompetenz zu stärken. Exkursionen wie diese sind daher weit mehr als „nettes Zusatzprogramm“ – sie sind notwendiger Bestandteil einer qualifizierten Amtsausübung.

Fazit: Ein Tag, der nachwirkt

Der Besuch in der Maßregelvollzugsanstalt Mühlhausen-Pfafferode hinterließ bei allen Beteiligten einen nachhaltigen Eindruck. Er zeigte, dass Justiz mehr ist als Urteile sprechen. Sie ist auch Verantwortung übernehmen – für Menschen, die Fehler gemacht haben, aber eine zweite Chance verdienen. Der Maßregelvollzug bietet genau das: keine Bestrafung, sondern Behandlung mit Würde und klarem Ziel – die Wiedereingliederung in die Gesellschaft.

Für die Schöffinnen und Schöffen war es ein Tag des Lernens, des Nachdenkens – und der Wertschätzung für alle, die in der Forensischen Psychiatrie täglich Großes leisten. Denn am Ende geht es um eines: Sicherheit durch Heilung, nicht durch Wegsperren.